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Ute Nagelschmidt - Projekt
"Kleine Fortuna" und "Lucky Boy"
Skulpturen
zum Thema "Inseln des Glücks" Die kleine Fortuna
und Hans im Glück, die ich als Anziehpuppenspiel in einem Spielwarengeschäft
vor ein paar Jahren entdeckt habe, übten eine besondere Anziehungskraft
auf mich aus, warum, habe ich mich jetzt noch einmal gefragt, als ich sie
für diese Ausstellung "Inseln des Glücks" ausgewählt
habe. Sie sind auf eigenartige Weise schön, nicht nur niedlich, ihre
Hautfarbe gefällt mir, sie sind von der Figur her Kind, bzw. haben durch
ihren übergroßen Kopf eigentlich eher Babyformat. Da ist aber
die herrliche blauschwarze Lockenpracht des Mädchens, die langen Wimpern,
die Rouge-Bäckchen und geschminkte Lippen. Der heruntergerutschte Träger
des Hemdchens und die kokette Beinstellung erinnern an Hollywoodschönheiten.
Sie hat eine unkindliche Erwachsenenpose. Lucky Boy oder Hans im Glück
gibt sich prall und gesund, neugierig, wach, goldköpfig, aktiv, positiv,
sieht mit aufgerissenen Augen in die Zukunft, steht sozusagen in den Startlöchern.
Optimistischer geht's nicht mehr. Beide Figuren muß man einfach
liebhaben , sie passen ins Kindchenschema, man will sie beschützen. Was
mich veranlaßt hat, mich mit diesen Figuren auseinanderzusetzen, bzw. auf
sie aufmerksam zu werden, ist also zum einen der Aspekt der Rückerinnerung
an die Kindheit, etwas wiederzufinden, womit man sich gerne beschäftigt
hat als Kind und etwas auslöst, was als längst vergangene glückliche
Momente wieder ins Bewußtsein zurückkehrt. Was mir aber auch auffällt
oder mich beschäftigt, ist das, was diese beiden Figuren noch in sich
bergen. Sie sprechen ja wie gesagt etwas im Betrachter an durch ihr angenehmes
Erscheinungsbild, sie sind verführerisch und verlockend, sind glücksversprechend.
Vor dem Hintergrund der Kommerzialisierung der Kindheit (kauf mich, und du wirst
glücklich, oder verführ mich und du wirst glücklich), bekommen
diese beiden Skulpturen noch eine ganz andere, etwas unheimliche Dimension,
schon gar, weil sie vom ursprünglichen Anziehpuppenmaß in der
Höhe von 10 cm auf Erwachsenengröße von 1,70 m aufgeblasen sind. Jeder
sieht gern gut fotografierte Hochglanzwerbeprospekte mit süß gekleideten
Kindern jeden Alters und jeder Hautfarbe, um Kunden ökonomisch und emotional
anzusprechen. Der Mißbrauch von Kindern für Werbung fällt
einem dabei zuerst gar nicht auf, aber Kindheit verkauft sich gut, ebenso
wie das weite Feld der Kinderpornografie. Die kleine Fortuna und Lucky Boy
haben für mich beide Komponenten in sich vereint, das Erinnern des Glücks
und das Glücksverprechen, diese Brechung der heilen Kinderwelt haben
mich fasziniert und für diese Arbeit eingenommen. Ute
Nagelschmidt Wenn ich an einem Winterabend
durch die Stadt wandle und auf einem Platz ein Kind sehe,
das ein bißchen länger aufbleiben durfte und voller Ekstase um sich
blickt, dann weiß ich: es ist nichts geschehen, es geschieht nichts,
es ist Abend, Winter, und doch wird er für dieses Kind unvergeßlich
bleiben. Sein ganzesLeben wird es nach einem solchen Abend und seinen Versprechungen
zurückverlangen, dann, wenn sie es betrogen haben werden, indem sie sich
erfüllten, wenn alles nein sagt und auch das Kind nein sagt, wenn alles
sich verflüchtigt hat, bekannt und gleichgültig geworden ist, und
wenn es alles in seiner Leerheit und Kraftlosigkeit übersieht, alle
Straßen kennt und am Ende hinter das Dunkel zu blicken vermag.
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